Wächterhaus  
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Werner Fenz
Ein Wächterhaus – in einer Vergangenheit, in einer Gegenwart

Hinter der Ausschreibung des künstlerischen Wettbewerbs zur Erreichung eines „Denkzeichens‟ für das ehemalige KZ-Außenlager Aflenz an der Sulm stand an erster Stelle der dringende Wunsch, „die Mauern des Vergessens‟ niederzureißen. Von gleich großer Bedeutung aber war, auf die Frage, welche inhaltliche und künstlerische Qualität ein Mahnmal im Jahr 2009 aufweisen kann/muss, eine qualifizierte und qualitativ hochwertige Antwort zu bekommen.

Die Auseinandersetzung mit der Erinnerungskultur, geführt über künst-lerische Zeichensetzungen, weist zumindest den gleich hohen Stellenwert auf wie die Notwendigkeit, hinter die Mauern zu blicken. Aus den zahl-reichen Argumenten für oder gegen diese oder jene Denkmalform sei ein zentrales herausgegriffen: Ist es heute (noch) möglich, die von der Nazi-Herrschaft verbreiteten Schrecken, den Terror eines menschenverach-tenden Regimes, die Errichtung von Konzentrationslagern und die darin alltäglich in Gang gesetzte Vernichtungsmaschinerie ausgehend von jenen Bildern des Grauens, die uns spät genug überliefert wurden, darzustellen oder zumin-dest immer wieder auf diese zu verweisen? Können die durchaus aufrichtig emotional geprägten expressiven geschundenen Leiber aus Stein oder Bronze die entsprechenden symbolischen (Nach)Bilder nach den realen sein? In einer Zeit des Bilderwandels, des Verbrauchs der Bilder, vorwiegend auf medialer Ebene, und der damit einhergehenden Abstumpfung gegenüber gequälten und getöteten Leibern sei in großem Respekt vor den grauen-haften Schicksalen der Einzelnen die These in den Raum gestellt, ob das künstlerische Abbild des erwähnten, nahezu end-losen, Prospekts respektive einer kleinen Auswahl daraus als entsprech-ende Methode des Erinnerns und Gedenkens weiterhin zur Anwendung kommen soll/darf.

Diesem in die Zukunft hinein Versteinern eines der beschämendsten Kapitel der Geschichte stehen heute diametral entgegengesetzte Konzepte gegen-über. So haben beispielsweise Esther und Jochen Gerz in einem Vorort von Hamburg eine bleiummantelte Stele, auf der sich die PassantInnen mit ihrer Unterschrift verewigen konnten, nach sieben Jahren, als sie voll-geschrieben war, versenkt, „denn nichts kann sich an unserer Stelle gegen das Unrecht erheben‟; Rachel Whiteread hat ihr Holocaust-Mahnmal auf dem Wiener Judenplatz als steinerne Bibliothek gestaltet, nachdem auch auf Wunsch der jüdischen Gemeinde bereits in den Wettbewerb aufge-nommen worden war, keine bildlichen Darstellungen zuzulassen. Mit diesen und zahlreichen weiteren Beispielen wurde innerhalb der Denkmalkultur ein entschiedener Wandel vollzogen.

Zum internationalen Auswahlverfahren für Aflenz wurden fünf Künstler-Innen bzw. Künstlerduos eingeladen: Aus Kroatien / Bosnien-Herzegowina Sanja Ivekovic / Danica Dakic, aus Schweden FA+ (Gustavo Aguerre und Ingrid Falk), aus Deutschland Beate Passow und aus Österreich Oliver Ressler sowie Helmut & Johanna Kandl. Einige entscheidende Orientier-ungen und Notwendigkeiten wurden in der Ausschreibung für die Teil-nehmerInnen klar formuliert. So war es dezidiert im Interesse des Aus-lobers – das Land Steiermark, vertreten durch das Institut für Kunst im öffentlichen Raum – die Statik von Zeichen der Erinnerung aufzubrechen und eine andere Richtung einzuschlagen als die (zu) großen nationalen und repräsentativen Denkmalanlagen. Unter der Oberfläche der Erscheinung eines singulären Objekts / mehrerer Objekte oder der Aussagen und Stellungnahmen, in welcher Form auch immer, sollten funktionierende Mechanismen entwickelt werden, die das Gedenken von seiner nur nach außen hin wirksamen Pflichtschuld befreien.
Nicht ein einzelner Punkt, sondern der weitläufige Ort des Geschehens sollte der Ausgangspunkt der Überlegungen sein, die Mittel der Kunst zu einem Auslösefaktor der Erinnerung und Reflexion werden. Auf der einen Seite durch die unmittelbare Konfrontation mit der zeitgenössischen künst-lerischen Bezeichnung des Gedenkorts und auf der anderen Seite durch eine nicht abstumpfende, sondern in den aktuellen Strukturen der Gesellschaft zu verankernde Mahnung. Diese Herausforderung legte den Schwerpunkt auf die sogenannte offene Form des Kunstwerks, auf ein künstlerisches Handeln, das nicht abschließt oder trotz einer möglicher-weise dynamischen Oberfläche zudeckt. Gefordert war ein offen gehaltener, von der Gegenwart aus gestalteter Erinnerungsprozess, also nicht der einmalige Akt des „Denkmalbesuchs“ oder die Wahrnehmung im Vorübergehen. Das rapide Ansteigen der Ausländerfeindlichkeiten und des Hasses auf nicht strikt systemkonforme MitbürgerInnen, der offen zur Schau getragene Rechts-radikalismus und die widerwärtigen Umtriebe von Neonazis ließen den Auftraggebern diese Fokussierung notwendiger denn je erscheinen.

Dem Urteil einer Fachjury (Wolfgang Kos / Direktor Wien-Museum; Silvia Eiblmayr / Galerie im Taxispalais Innsbruck; Claudia Büttner / Kunst-historikerin, München; Samuel Stuhlpfarrer / Mauthausen Komitee Österreich; Werner Fenz, Walter Seidl, Walter Titz / alle Fachbeirat für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark; Franz Trampusch / Zeitzeuge) zufolge erfüllten die Bedingungen in herausragender Weise das Ehepaar Helmut & Johanna Kandl. Ihr Projekt WÄCHTERHAUS kristallisierte sich am einzigen im Außenraum erhaltenen Objekt aus, dem ehemaligen Wach-postenhaus. Es handelt sich dabei um eine aus rohen Ziegeln bestehende unscheinbare, zum Zeitpunkt des künstlerischen Entwurfs hinter üppiger Vegetation (fast) verborgene Ruine. Auf dem Dach leuchtet der Titel des Projekts, der zugleich als Vermächtnis der Arbeit zu lesen ist: Wache halten, kontrollieren, wachsam sein – aus der ursprünglichen Funktion wird eine unter anderen Vorzeichen gleichlautende heutige. Dieser scheinbar kleine Schritt im Transfer von der Vergangenheit (Wachpostenhaus) in die Gegenwart (Wächterhaus) charakterisiert die Arbeit als einen neuartigen gewichtigen Beitrag zur Denkmalkultur. Nie ist in Frage gestanden, das Gebäude als Fragment nicht nur miteinzubeziehen, sondern sogar zum Ausgangspunkt wie zum Zentrum der Installation zu machen. Hier wird nicht errichtet, hier wird mit minimalen, aber geschickt und zielsicher eingesetzten Mitteln ergänzt. Und zwar auf eine Art und Weise ergänzt, die den Gegen-wartsbezug schon von weitem sichtbar macht. Neonbuchstaben, in einem klaren, der Groteskschrift der Nazis entgegengesetzten Schrifttypus, bewusst so manchen vertrauten Ankündigungen nicht unähnlich, sind Inhalt und Aufforderung in einem.

In der größten der drei noch vorhandenen Nischen konzentriert sich die Information. Auf der einen Wand findet sich eine kurze Beschreibung des Ortes und der Art des Geschehens, vis à vis laufen über einen Monitor Bild- und Textinformationen. Über diese werden wir mit Menschenrechtsver-letzungen in der unmittelbaren Gegenwart, mit Akten der Gewalt, mit Angriffen auf Minderheiten in den unterschiedlichsten Formen konfrontiert. In Zusammenarbeit mit HistorikerInnen und VertreterInnen von Menschen-rechtsvereinen sind wechselnde, aktuell gehaltene Ausschnitte aus der Gegenwart in das WÄCHTERHAUS eingespielt. Dieser Verbindungsbogen, der sehr ausführlich mit den WissenschafterInnen ausdiskutiert wurde, ist einer der Gründe dafür, dass sich das „Denkzeichen“ aus der Statik und aus jedweder Form von Repräsentation befreit.

Helmut & Johanna Kandl ist eine im wahrsten Sinn des Wortes wegweis-ende künstlerische Form des Gedenkens gelungen. In ihrer Bedeutung reicht sie weit über den konkreten geografischen und historischen Ort hinaus und führt eine neue Typologie von Denkmälern ein: Es ist das Bezeichnen eines Areals unter Verwendung eines vorhandenen erinner-ungsträchtigen Objekts. Dieses wird weder umgebaut noch auf Hochglanz gebracht, es wurde lediglich baulich gesichert und auch in diesem Wort sichern liegt wieder diese doppelte Bedeutung, liegt die Dualität, mit der das Künstlerpaar in diesem Werk mehrfach operiert: Vergangenheit und Gegenwart, Wach-postenhaus und Wächterhaus, Erinnerung sichern und in der Gegenwart verorten.